Gefährlicher Überholvorgang © Natenom

Im Interview: Natenoms Einsatz für einen sicheren Überholabstand

Als "Natenom" setzt sich Andreas Mandalka seit Jahren für sicheres Überholen von Radfahrenden ein und hat es zu bundesweiter Bekanntheit gebracht. Er filmt die Überholmanöver – und geht damit zur Polizei.

ADFC-Mitglied Andreas Mandalka ist als "Natenom" überregional via Twitter und seinen Blog als engagierter Radfahrer bekannt, beschäftigt sich aber auch mit Themen wie Software, Fotografie oder Müllsammeln. Sein Einsatz für einen sicheren Überholabstand (nicht nur auf den Landstraßen rund um Pforzheim) machte ihn bundesweit bekannt.

Seit Jahren macht Mandalka schlechte Erfahrungen mit gefährlich eng überholenden Autofahrer*innen. Er filmt die Gefahrensituationen und misst gleichzeitig den Überholabstand. Frustrierend ist für ihn aber auch die ausbleibende Reaktion bei der örtlichen Polizei und der Staatsanwaltschaft, die sich weigern, seine Beweismittel zur Strafverfolgung heranzuziehen.

Im Interview mit dem ADFC erzählt er von seinen Erfahrungen:

> Neuerdings gilt außerorts ein Überholabstand von zwei Metern zu Radfahrenden – wie sehen deine Erfahrungen als Alltagsradler damit aus und wie misst du den tatsächlichen Überholabstand?

Seit Mitte 2020 halten die meisten Autofahrenden einen Abstand ein, der mir beim Überholtwerden keine Angst macht, also mehr als 1,4 Meter. Zwei Meter oder mehr sind aber noch nicht die Regel. Es gibt aber auch einen kleinen Anteil von Autofahrenden, die absichtlich mit wenig Abstand überholen, manchmal mit nur einem Meter, in Extremfällen nur einen halben Meter. Immer wieder wird das Scheibenwischerwasser aktiviert oder der Motor zum Aufheulen gebracht. Oder die Autofahrenden schneiden mich direkt nach dem Überholen. Ich habe Kontakt zu anderen Radfahrenden, die dieselben Strecken fahren und meine Einschätzungen teilen.

Den Abstand messe ich mit einem OpenBikeSensor des gleichnamigen Projekts, der mir von dessen Team zur Verfügung gestellt wird. Das Gerät misst mit Ultraschallsensoren den Abstand zwischen mir und einem Fahrzeug. Die Daten lade ich in ein Portal hoch, wo sie ausgewertet werden. Mittlerweile gibt es viele Radfahrende in ganz Deutschland, die mit dem OpenBikeSensor unterwegs sind. Technisch versierte Menschen können das Gerät selbst bauen.

> Warum ist zu geringer Überholabstand so gefährlich?

Es ist schon rein physikalisch bedingt, dass man mit einem Fahrrad pendelt. Manche weniger, manche mehr. Je langsamer man fährt, desto mehr, und auch beim Bergauffahren. Dann gibt es Gründe, weshalb man beim Radfahren kurzfristig ausweichen muss, etwa bei Schlaglöchern. Wenn man sich vor dem Einordnen nach hinten umschaut, fährt man automatisch nach links. Wind ist auch oft dafür verantwortlich, dass man mal geschoben wird. Solche Ereignisse sind für Autofahrende beim Überholen nicht vorhersehbar. Deshalb muss man den Mindestabstand einhalten, damit es nicht zu einem Zusammenstoß mit möglicherweise fatalen Folgen für Radfahrende kommt.

> Wie sind deine Erfahrungen mit der Polizei, wenn du eindeutiges Videomaterial vorlegst? Gibt es dazu auch Aussagen von der zuständigen Staatsanwaltschaft?

Im Austausch mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Bußgeldstelle wird immer wieder deutlich, dass fast nur die Autoperspektive bekannt ist. Es gibt kaum Bewusstsein für die Gefahren, die von einem zu geringen Überholabstand ausgehen. Mein Eindruck ist, dass ich eher als Störenfried empfunden werde, der nur Arbeit verursacht und den Verkehr stört. Zum Teil wird die Rechtslage aktiv missachtet. So teilte mir die Bußgeldstelle Pforzheim im Dezember 2020 schriftlich mit, dass sie meine Anzeigen über Ordnungswidrigkeiten, die ein Verwarngeld von maximal 35 € zur Konsequenz hätten, generell nicht mehr bearbeite – es sei denn, ich würde es als besonders schwerwiegend empfinden, zum Beispiel beim Überholen bei Gegenverkehr.

Es gab bisher einen einzigen Fall, in dem der Beschuldigte eine Geldstrafe zahlen musste. Er fuhr beim Überholen mit seinem rechten Seitenspiegel unter meinem Lenker durch. Alle anderen Vorfälle, zu denen ich Strafanzeige stellte (extrem schnelles, sehr dichtes Überholen, teils mit Berührungen, körperliches Bedrängen, Beleidigen, Androhung von Gewalt), zu denen es immer Videos gab, wurden eingestellt, weil es kein öffentliches Interesse gegeben habe oder die Gefahr abstrakt gewesen sei und nicht konkret.

Im Mai 2020, also bereits zu Corona-Zeiten, wurde ich beim Überholen aus einem Auto heraus angespuckt, habe Strafanzeige gestellt und seitdem,  mittlerweile über einem Jahr, und auch nach zwei Rückfragen noch nichts dazu von der Staatsanwaltschaft gehört.

> Welche Strategien hast du, um dich vor zu engen Überholmanövern zu schützen? Was empfiehlst du anderen Radfahrenden?

Ich habe vieles versucht: Gespräche mit Autofahrenden, Anrufe bei Firmen, Aufklärung, erst ganz zum Schluss dann Anzeigen. Die beste Erfahrung habe ich mit einem Abstandshalter gemacht, der etwa 70 Zentimeter breiter ist als mein Fahrradlenker auf der linken Seite, und der bisher sicher stellte, dass niemand diesen Abstand unterschritt. Auch bei Gegenverkehr werde ich fast gar nicht mehr überholt. Traurig daran ist, dass nicht die Sorge um mich als Menschen zu diesem geänderten Verhalten führt, sondern die Angst um das eigene Fahrzeug, sprich die Angst um den Autolack.

Meine Empfehlung für andere Radfahrende: Vergesst die Polizei, vergesst die Bußgeldstelle. Befestigt ein Metallstäbchen am Gepäckträger eurer Fahrräder und bleibt entspannt, wenn Autofahrende hupen oder euch beleidigen.

> Was wünschst du dir für Verbesserungen in Baden-Württemberg? Welche Forderungen zum Schutz von Radfahrenden stellst du an die zuständigen Ministerien (Inneres und Justiz)?

  • 1. Wunsch: Abstandskontrollen innerorts und außerorts. Das ist auch ohne spezielle Messinstrumente möglich, wenn beispielsweise die Breite der Fahrstreifen bekannt ist oder es Mittellinien gibt, die komplett überfahren werden müssten, um zwei Meter Abstand zu halten.
  • 2. Wunsch: Fahrradstaffeln der Polizei in jeder Stadt, die sich um die Belange von Radfahrenden kümmern. Denn das Bewusstsein für die Fahrradperspektive kann man nicht erklären. Das muss man wortwörtlich mit dem Fahrrad selbst erfahren.
  • 3. Wunsch: Tatbestand 105112 (Überholen mit nicht ausreichendem Seitenabstand) im Bußgeldkatalog muss deutlich teurer werden als aktuell 30 € und auch Punkte im Fahreignungsregister zur Konsequenz haben. Der Gesetzgeber bewertet mit der Höhe eines Verwarngelds/Bußgelds die Wichtigkeit bzw. die Gefährlichkeit eines Verstoßes. Der Bußgeldkatalog stuft z. B. die Gefährdung des Gegenverkehrs beim Überholen mit einem deutlich höheren Bußgeld ab 100 € ein und es gibt dafür auch Punkte.

> Was kann der ADFC zur Verbesserung der Situation tun?

Ich wünsche mir, dass der ADFC seine Rolle als Vertretung der Radfahrenden auch im rechtlichen Sinne viel stärker wahrnimmt. So könnte der ADFC in einem konkreten Fall einen Radfahrenden beim Einklagen seiner Rechte unterstützen, um somit einen "Präzedenzfall" zu schaffen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft in Zukunft dazu gezwungen sind, sich auch um die Sicherheit von Radfahrenden zu bemühen.

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Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die AFDC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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